Der PflichtteilsergänzungsanspruchWas passiert mit meinem Pflichtteil bei Schenkungen an den Erben?
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch
Was passiert mit meinem Pflichtteil bei Schenkungen an den Erben?
Oft wird der Erblasser versuchen, den Pflichtteil eines Abkömmlings zu mindern, indem er Wertgegenstände oder gar Immobilien noch zu Lebzeiten verschenkt. Um diese Umgehung des Pflichtteils zu verhindern, gibt es den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dies ist ein Anspruch, der Pflichtteilsberechtigten neben dem normalen Pflichtteilsanspruch zusteht. Erfahren Sie hier, wie sich Schenkungen auf den Pflichtteil auswirken und wie man die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs berechnet.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch (im BGB)? Anstandsschenkungen
- Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
- Nießbrauch und Wohnrecht
- Die Anrechnung eigener Schenkungen
- Das Haus wurde vom Erblasser aber nicht verschenkt, sondern verkauft – was nun?
- Die Verjährung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch
- Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Erben – Zusatzpflichtteil
- Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten
1. Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch?
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein Anspruch, der neben dem ‘normalen’ beziehungsweise ordentlichen Pflichtteilsanspruch besteht. Er bezieht sich auf Vermögen und Wertgegenstände, die dem Erblasser vor seinem Versterben mal gehört haben und die er verschenkt oder unter Wert veräußert hat. Diese Wertpositionen sind je nach Konstellation vollumfänglich oder zumindest teilweise bei der Beanspruchung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Auch sie sind Teil des Pflichtteils und auch hiervon steht dem Pflichtteilsberechtigten etwas zu.
Eine Ausnahme gilt für sogenannte “Anstandsschenkungen”. Dies sind Schenkungen des Erblassers, die gesellschaftlich und sozial als üblich bewertet werden und die der Anstand gebietet. Beispielhaft zu nennen ist das Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk an den Enkel oder die Schwester des Erblassers. Je nach Vermögensverhältnissen, in denen der Erblasser lebt, kann die Bewertung einer Schenkung als Anstandsschenkung höher oder geringer ausfallen.
2. Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
a) Allgemein
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bemisst sich am Wert der vorgenommenen Schenkungen. Ausgehend von der jeweiligen Pflichtteilsquote (Interne Verlinkung auf Artikel “Die Durchsetzung des Pflichtteils”) kann so die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs berechnet werden. Maßgeblich ist in der Regel der Wert, den die Schenkung im Zeitpunkt des Versterbens des Erblassers hat.
Werden sog. verbrauchbare Sachen (bspw. Geld) verschenkt, kommt der Wert in Ansatz, den die Sachen im Zeitpunkt der Schenkung hatten. Werden sog. nicht verbrauchbare Sachen (bspw. Immobilie, Auto) verschenkt, ist der Wert entscheidend, den die Sache im Erbfall hatte, es sei denn ihr Wert war im Zeitpunkt der Schenkung niedriger (siehe Niederstwertprinzip unter Punkt 2.c) ).
Bei allen Schenkungen, bei denen der Schenkungszeitpunkt maßgeblich ist, muss der Kaufkraftverlust berücksichtigt werden. Es ist eine Inflationsbereinigung vorzunehmen.
Kommt man zu dem Ergebnis, dass der Zeitpunkt der Schenkung für ihre Wertbestimmung entscheidend ist, z.B. weil Geld verschenkt wurde, gilt folgendes: Der Kaufkraftverlust, den der Schenkungsgegenstand seit dem Schenkungszeitpunkt erfahren hat, muss berücksichtigt und ausgeglichen werden. Das heißt, es ist ein Inflationsbereinigung vorzunehmen.
Tipp:
Wurden Geld oder Wertpapiere verschenkt, so kommt deren Wert beim Pflichtteilsergänzungsanspruch inflationsbereinigt in Ansatz.
b) Das Abschmelzungsmodell nach dem BGB - Die Abschmelzung nach 10 Jahren bei einer Schenkung
Nach dem Gesetz unterliegen Schenkungen der sogenannten “Abschmelzung”. Das bedeutet, dass sich der Wert der Schenkung jedes volle verstrichene Jahr ab dem Zeitpunkt der Schenkung um 10% reduziert. Sind zehn Jahre seit der Schenkung verstrichen, bleibt diese konkrete Schenkung für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unberücksichtigt. Sie geht ins Leere.
Beispiel:
Der alleinstehende Erblasser schenkt seinem Sohn im Juli 2019 seinen Sportwagen. In seinem Testament verfügt er, dass seine Tochter enterbt wird. Er verstirbt im November 2020. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sportwagen noch einen Wert von 50.000 €. Der Wert dieser Schenkung verringert sich nun aufgrund der gesetzlichen Abschmelzung um 10%, da ein vollständiges Jahr seit der Schenkung verstrichen ist bevor der Erblasser verstarb. Der Betrag der Pflichtteilsergänzung für die Tochter beläuft sich also auf 11.250 €, nämlich ¼ (=Pflichtteilsquote) der um 10% reduzierten Schenkung (45.000 €).
Wurden mehrere Schenkungen zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten an mehrere Personen getätigt, beispielsweise an Geschwister des Pflichtteilsberechtigten und an Dritte, so ist die Abschmelzung für jede einzelne Schenkung individuell zu berechnen. Gemeinsam bilden diese Schenkungen die Pflichtteilsergänzung.
Achtung:
Die 10-Jahres-Frist/Abschmelzung läuft nicht bei Zuwendungen an den Ehegatten! Schenkt ein Ehegatte dem anderen einen höheren Betrag oder einen Wertgegenstand, so ist dieser auch noch nach Jahrzehnten relevant für den Pflichtteilsergänzungsanspruch.
c) Das Niederstwertprinzip
Bei nicht verbrauchbaren Sachen (siehe schon oben unter Punkt 2.a) ) gilt im Pflichtteilsrecht das sogenannte “Niederstwertprinzip”. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist der niedrigere Wert eines geschenkten Gegenstandes relevant. Das bedeutet, dass man die Werte des geschenkten Gegenstands zum Zeitpunkt der Schenkung und zum Zeitpunkt des Erbfalls vergleichen muss und dann den niedrigeren Wert in Ansatz bringen kann. Beim Wert zum Zeitpunkt der Schenkung ist wie unter 2. a) dargestellt darauf zu achten, dass eine Inflationsbereinigung/Indexierung vorgenommen wird.
3. Nießbrauch und Wohnrecht
Häufig traut sich der Erblasser nicht, einen Gegenstand, bspw. eine Immobilie, vollständig und ohne Vorbehalt auf einen Erben oder Dritte zu übertragen. Schließlich könnte auch dieser in Ungnade fallen und der Erblasser wäre von ihm abhängig. Zwei Instrumente, die sich häufig bei der Übertragung von Immobilien finden und dem Erblasser eine Sicherheit geben, sind der Nießbrauchsvorbehalt und das Wohnrecht. Bereits bei Übertragung der Immobilie wird dem schenkenden Erblasser ein Nießbrauch oder Wohnrecht eingeräumt. Da der Beschenkte in diesem Fall nicht unumschränkt über den Gegenstand verfügen kann, hat dieser de facto einen geringeren Wert. Als Folge für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist nur die Wertdifferenz zwischen Schenkungsgegenstand und kapitalisiertem Nutzungswert in Ansatz zu bringen.
Dieser Abzug ist jedoch nur bei Schenkungen vorzunehmen, deren Wert im Schenkungszeitpunkt niedriger war. Bei Schenkungen, deren Wert im Zeitpunkt des Erbfalls niedriger war, entfällt der Abzug, da zu diesem Zeitpunkt der Nießbrauchsvorbehalt beziehungsweise das Wohnrecht nicht mehr besteht.
Achtung:
Der Wert des Wohn- bzw. Nießbrauchsrechts wird nur abgezogen, wenn wegen des Niederstwertprinzips der Schenkungszeitpunkt der für die Berechnung relevante Stichtag war.
4. Die Anrechnung eigener Schenkungen
Hat der Erblasser nicht nur den Erben etwas geschenkt, sondern auch dem Pflichtteilsberechtigten, so muss der sich diese Geschenke auf seine Pflichtteilsergänzung anrechnen lassen. Auch hier bleiben Anstandsschenkungen außen vor. Jedoch gilt hier, zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten das Abschmelzungsmodell bzw. die 10-Jahres-Regelung nicht. Das heißt, der Pflichtteilsberechtigte muss sämtliche Geschenke, die er in der Vergangenheit erhalten hat, zur Anrechnung bringen.
5. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Hausverkauf
Das Haus wurde vom Erblasser aber nicht verschenkt, sondern verkauft – was nun?
Da der Erblasser mit seinem Vermögen und Eigentum grundsätzlich verfahren darf wie es ihm beliebt, darf er seine Immobilien auch verkaufen. Der Erlös wird selbstverständlich Teil seines Vermögens und fließt somit in die Nachlassmasse ein. Veräußert der Erblasser sein Haus an einen Erben unter Wert, beispielsweise um den Pflichtteilsanspruch zu umgehen, so spricht man von einer “gemischten Schenkung”. In diesen Fällen liegt der tatsächliche Verkehrswert der Immobilie höher als die erhaltene Kaufpreissumme. Wie aus der Bezeichnung “gemischte Schenkung” hervorgeht handelt es sich bei dieser teilweise um einen Verkauf (in Höhe der Kaufpreises) und teilweise um eine Schenkung (in Höhe der Differenz zwischen Verkehrswert und Kaufpreis). Der Teil, der auf die Schenkung entfällt, ist relevant für den Pflichtteilsergänzungsanspruch.
In manchen Fällen kann der Verkaufspreis jedoch auch unter dem objektiven Verkehrswert liegen, ohne dass der Erblasser Vereitelungsabsichten hat. Um diese Fälle von denen der gemischten Schenkung zu unterscheiden, sollte zumindest ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen.
6. Die Verjährung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch
Wie auch die Verjährung beim Pflichtteilsanspruch beträgt die Verjährungsfrist des Pflichtteilsergänzungsanspruchs 3 Jahre. Der Beginn der Frist ist jedoch abhängig davon, gegen wen der Anspruch gerichtet ist.
Bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen die Erben beginnt die Verjährungsfrist mit der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Erbfall, der Verfügung von Todes wegen (z.B. Testament) und von der Schenkung.
Wird der Anspruch gegen den Beschenkten geltend gemacht (siehe hierzu Punkt 8.) ist zu beachten, dass die Verjährung mit dem Erbfall beginnt. Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten ist hier keine Voraussetzung.
Achtung:
Die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den Beschenkten beginnt mit dem Zeitpunkt des Erbfalls!
7. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Erben – Zusatzpflichtteil
Oft vererbt der Erblasser sein Vermögen zu ungleichen Teilen. Dies bleibt soweit ohne Folgen, so lange die Mindestteilhabe der Erben gewahrt bleibt. Unterschreitet der einem Erben zugedachte Erbteil den Wert, der ihm nach dem Pflichtteilsrecht zustünde, greift die Figur des Zusatzpflichtteils. Dieser besteht in der Höhe der Differenz zwischen dem hypothetischen Pflichtteil und dem, was tatsächlich geerbt wurde (Beispiel 1). Sehr häufig taucht der Zusatzpflichtteil in Form des Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf. Nämlich dann, wenn einem Erben zu Lebzeiten bereits der Großteil des Vermögens geschenkt wurde und bei Versterben des Erblassers die Erben gleich viel bekommen (Beispiel 2).
Beispiel 1:
Die verwitwete Erblasserin vererbt gemäß Testament ihrem Sohn ein Haus im Wert von 180.000 € während ihre Tochter das alte Auto im Wert von 2.000 € erhält. Wäre die Tochter enterbt worden, stünde ihr ein Pflichtteil in Höhe von 50.000 € zu (= 25% von 200.000 €). Der Zusatzpflichtteil beträgt also 48.000 €.
Beispiel 2:
Die verwitwete Erblasserin hat eine Tochter und einen Sohn. Sie verschenkt kurz vor ihrem Tod all ihren Schmuck im Wert von 30.000 € an ihre Tochter und ihren Ferrari im Wert von 160.000 € an ihren Lebensgefährten. Da sie kein Testament errichtet hat, erhalten die Tochter und der Sohn nach dem Ableben der Erblasserin den Nachlass in Höhe von insgesamt 10.000 € je zur Hälfte. Wäre der Sohn enterbt worden, stünde ihm ein Pflichtteil beziehungsweise eine Pflichtteilsergänzung in Höhe von 50.000 € (= 25% von 200.000 €). Der Zusatzpflichtteil beträgt also 45.000 € (50.000 € – 5.000 €).
8. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten
Grundsätzlich ist stets der Erbe der Anspruchsgegner bei Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Jedoch gibt es eine Ausnahme: Ist der Erbe nicht verpflichtet den Pflichtteil zu zahlen, dann kann sich der Pflichtteilsberechtigte an den Beschenkten wenden. “Nicht verpflichtet” ist der Erbe dann, wenn kein oder wenig Vermögen im Nachlass vorhanden ist und er davon gerade einmal beispielsweise die Beerdigungskosten begleichen kann. Auch darf der Erbe die Zahlung verweigern, wenn er selbst pflichtteilsberechtigt ist und sein eigener Pflichtteil durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch vermindert werden würde.
Achtung:
Ist der Erbe nur zahlungsunfähig, scheidet ein direkter Anspruch gegen den Beschenkten aus.
Die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den Beschenkten folgt anderen Regeln als der Anspruch gegen den Erben (s. bereits oben unter Punkt 6.). Der Anspruch gegen den Beschenkten verjährt zwar auch nach drei Jahren, jedoch beginnt die Verjährungsfrist bereits mit dem Erbfall. Irrelevant ist hierbei, ob der Pflichtteilsberechtigte erst später von dem Erbfall oder der Enterbung Kenntnis erlangt hat. Auch eine laufende Klage gegen den Erben hemmt hierbei die Verjährung des Anspruchs gegen den Beschenkten nicht.
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